Transkript des Videointerviews mit Prof. Nitsch „Weniger Kontrolle, mehr Verantwortung? Aktuelle technologische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Arbeit 4.0“ Interview mit Prof. Dr.-Ing. Verena Nitsch, Institut für Arbeitswissenschaft an der Universität der Bundeswehr München 1. Frage: Durch die Digitalisierung werden Arbeitsplätze wegfallen und neue entstehen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? Nitsch: Ich denke es ist tatsächlich recht unwahrscheinlich, dass gesamte Berufe einfach über Nacht substituiert werden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Teilaufgaben nach und nach automatisiert werden. So wie es auch in den letzten Jahrzehnten schon der Fall war. Diese Automatisierung wird unterschiedliche Auswirkungen haben auf unsere Arbeitsbedingungen. Sie kann die Arbeit verbessern; sie kann sie aber auch ein Stück weit schwerer machen. Welchen dieser Effekte die Automatisierung haben wird auf unsere Arbeitsbedingungen, das können wir zum Glück immer noch selbst bestimmen. Bisher wird meistens ein technikzentrierter Automatisierungsansatz verfolgt in Unternehmen. D.h. man schaut sich erst mal an: Was kann denn die Technik? Wie kann die Technik eingesetzt werden, um eine bestimmte Aufgabe zu erledigen? Man schaut sich nicht an, wie die Technik eingesetzt werden kann, um den Menschen zu unterstützen, eine bestimmte Aufgabe zu erledigen. Ich denke, da müssen wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch neue Ansätze finden, die es auch Unternehmen leichter ermöglicht, eine menschenzentrierte Automatisierung an ihren Arbeitsplätzen zu realisieren. 2. Frage: Es gibt einige Felder, in denen Jobs wegfallen, andere Felder, in denen Jobs entstehen. Menschen, deren Arbeitsplätze wegfallen, können nicht unbedingt die neu entstehende Arbeit übernehmen. Nitsch: Das kann man wahrscheinlich nicht. Denn die Jobs, die neu generiert werden, insbesondere durch die Technikindustrie erfordern für gewöhnlich auch spezielle technische Fachkenntnisse. D.h. wir brauchen Menschen, die sich ausbilden lassen. Wir brauchen auch die Ausbildungsmöglichkeiten dafür, aber ein anderer Ansatz dafür wäre es natürlich auch, die Technik benutzerfreundlicher zu gestalten, so dass weniger Fachkenntnisse für die Benutzung dieser Technologie erforderlich sind. 3. Frage: Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Automatisierung auf die Arbeitsbedingungen ganz konkret ein? Können Sie ein Zukunftsszenario beschreiben? Nitsch: Die Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen können ganz unterschiedlich sein. Man kann sich z.B. vorstellen, dass die Automatisierung eingesetzt wird, um uns körperlich anspruchsvolle Arbeiten zu erleichtern, auch, um uns monotone Routinetätigkeiten abzunehmen. Auf der anderen Seite kann es aber auch sein, dass wir dadurch durchaus auch körperliche Probleme kriegen, wenn wir uns z.B. weniger bewegen durch die Automatisierung. Und auch, dass wir bestimmte Fähigkeiten verlernen, die uns die Automatisierungstechnologie abnimmt. 4. Frage: Können Sie Beispiele anführen, welche Kompetenzen in Gefahr sind, verloren zu gehen? Nitsch: Zum Beispiel verlieren Menschen leichter den Überblick über bestimmte Vorgänge in ihren Unternehmen. Wenn die Automatisierungstechnik ihnen einfach nur sagt, wann sie wo zu sein haben und welche Aufgaben sie dann durchzuführen haben, verlernen sie vielleicht auch die Fähigkeit, selbst diese Vorgänge zu planen. 5. Frage: Sie hatten in Ihrer Keynote von einer Überforderung der Menschen gesprochen, die durch Automatisierung entstehen kann Nitsch: Ja. Durch die höhere Datenverfügbarkeit sind wir schon eher versucht, den Menschen auch alle Informationen anzubieten, die verfügbar sind. Aber diese hohe Informationsdichte und –komplexität kann den Menschen auch sehr schnell überfordern. D.h. er kann die Information nicht mehr richtig verarbeiten und richtig agieren. 6. Frage: Auf der anderen Seite kann Automatisierung auch zu einer Unterforderung der Menschen führen. Warum? Nitsch: Es besteht die Gefahr, dass der Mensch nur eingesetzt wird, um eine Automatisierungslücke zu füllen. D.h. diese Tätigkeit nur ausführt, weil sie nicht oder noch nicht automatisiert durchgeführt werden kann. Das sind häufig zu einfache Arbeitstätigkeiten, die den Menschen dann unterfordern, die Langeweile verursachen, die sich negativ auf die Arbeitsmotivation auswirken und damit auch negativ auf die Produktivität des Arbeiters. 7. Frage: Welche Bedeutung haben soziale Kompetenzen für Roboter? Nitsch: Es gibt da viele verschiedene Aspekte der sozialen Kompetenz. Und es ist gar nicht gesagt, dass man für bestimmte Einsatzbereiche keine hohe soziale Kompetenz braucht. Beispielsweise, dass man im Pflegeberuf eine soziale Kompetenz braucht, aber in der Kundenberatung eher nicht. Ich würde sagen, soziale Kompetenz wird immer wichtiger werden für die Automatisierungstechnologie, je enger sie mit dem Menschen zusammenarbeitet. Und diese Sozialkompetenz beinhaltet ganz unterschiedliche Fähigkeiten. Z.B. die Fähigkeit, Emotionen zu erkennen, oder Emotionen auszudrücken, oder Emotionen gezielt zu beeinflussen. Und das sind alles Fähigkeiten, die man derzeit schon versucht zu automatisieren. 8. Frage: Was bleibt dem Menschen übrig? Was kann der Mensch, was der Roboter nicht kann? Nitsch: Es gibt sicherlich nicht viele Aufgaben, die in Zukunft nicht gut automatisiert werden können. Aber wenn man sich auch schon heute Arbeitsplätze anschaut, die hochautomatisiert sind, aber eine gewisse sicherheitskritische Funktion erfüllen, dann kann man immer wieder feststellen: Der Mensch wird für eine Sache noch besonders gebraucht und das ist das Tragen von Verantwortung. Und das, obwohl ihm mit der Automatisierung immer mehr Handlungskontrolle genommen wird. Eigentlich möchten wir dem entgegen wirken: Keine Technik zentrierte Automatisierung an Arbeitsplätzen, sondern eine Menschen zentrierte Automatisierung, die dem Menschen nicht nur Verantwortung lässt, sondern auch Kontrolle über seine eigenen Handlungen gibt, damit nicht nur die Produktivität erhöht wird, sondern auch die Arbeits- und Lebensqualität.