
Aber auch die Tagung selbst, die am 21. und 22. Juni 2017 stattfand, machte einmal mehr deutlich, wie stark Forscherinnen und Forscher vom Input aus der betrieblichen Praxis profitieren. Dies gilt insbesondere für ein Thema wie die Digitalisierung der Arbeitswelt. Denn angesichts der Dynamik, mit der die Entwicklung voranschreitet, hinkt die Wissenschaft in der empirischen Analyse dieser Prozesse notgedrungen hinterher. So stützen sich deren Prognosen denn auch oft stärker auf einen Kranz von mehr oder weniger unsicheren Annahmen als auf belastbare Zahlen. Umso wichtiger ist es, dass die Wissenschaft diese Annahmen mit den Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis abgleicht. Die Tagung in Amberg belegte dies eindrücklich.
Vorträge
Möller: „Digitalisierung ist ein Treiber für Jobveränderungen, nicht für Jobverluste.“

Prof. Dr. Joachim Möller, IAB
Auch Möller sieht die Folgen einer gesteigerten „Mensch/Maschine-Interaktion“ weniger dramatisch. Experten würden die technischen Möglichkeiten oft überschätzen. In erster Linie, so Möller, führen technische Neuerungen zu veränderten Tätigkeitsprofilen von Berufen – weniger allerdings dazu, dass ganze Berufe wegfallen. Als anschauliches Beispiel erwähnt der IAB-Chef den Beruf des Kaminkehrers. Dieser übe heutzutage kaum noch manuelle Tätigkeiten aus, stattdessen arbeite er überwiegend mit digitalen Messinstrumenten und berate zudem zu Umweltschutzfragen und Energieeinsparungsmöglichkeiten. Zudem bedeute die Möglichkeit einer Digitalisierung nicht auch automatisch deren tatsächliche Umsetzung. Außerdem schaffen viele technologische Neuerungen auch neue Berufsbilder. Allen Digitalisierungsszenarien zum Trotz können nach Möllers Einschätzung bestimmte menschliche Eigenschaften wie die emotionale Intelligenz nicht von künstlicher Intelligenz ersetzt werden. Dies wiederum sind Eigenschaften, die besonders in den sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen gefordert sind. In diesen Bereichen sei die Möglichkeit, Menschen durch Technologie zu ersetzen, demnach relativ gering. Das gelte tendenziell auch für Berufe mit höherem Anforderungsniveau.
Holtzwart: „Digitalisierung bietet vor allem Chancen!“

Ralf Holtzwart, BA
Ralf Holtzwart, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern der BA, stellte in seinem kurzen Grußwort klar, dass er beim Thema Digitalisierung vor allem Chancen für alle Beteiligten sieht, aber auch Herausforderungen. Die Beschäftigten seien verstärkt gefordert, sich auf neue Dinge einzulassen. Die Wechselgeschwindigkeit, so Holtzwart, werde zunehmen, Berufsbiographien sich wandeln und die Bereitschaft zu kontinuierlicher Weiterbildung an Bedeutung gewinnen. Die kleineren und mittleren Betriebe in Bayern sieht er vor der Herausforderung, auch weiterhin Produkte zu erfinden und zu entwickeln, mit denen die Betriebe auch künftig an der Spitze bleiben und Beschäftigung in der Region sichern könnten. Ein Schlüssel dazu liege in der guten beruflichen Qualifikation der Beschäftigten, nicht nur im Rahmen des dualen Ausbildungssystems, sondern schon bereits in der Schule. Auch die BA selbst müsse sich der Digitalisierung weiter öffnen und den Veränderungsprozess aktiv mitgestalten. Hier denkt Holtzwart vor allem an den Ausbau der Online-Angebote sowie an eine effizientere digitale Bearbeitung von Verwaltungsvorgängen. Dies böte die Chance, Kapazitäten freizusetzen, die dann wiederum für die Beratung der Kundinnen und Kunden eingesetzt werden könnten.
Nitsch: Plädoyer für eine „menschenzentrierte Automatisierung“

Prof. Dr.-Ing. Verena Nitsch, Institut für Arbeitswissenschaft und Universität der Bundeswehr München
Verena Nitsch, die kommissarisch das Institut für Arbeitswissenschaft der Universität der Bundeswehr in München leitet und dort eine Vertretungsprofessur für Mensch-Maschine Integration innehat, stellte in ihrer Keynote die Auswirkungen aktueller technologischer Entwicklungen auf die Arbeit 4.0 vor. Der digitale Wandel, so Nitsch, sei keine vollkommen neue Entwicklung, eröffne jedoch immer neue Einsatzmöglichkeiten für Produktion, Logistik und Unternehmensorganisation sowie für die maschinelle Automatisierung. So werde die Automatisierungstechnik mobiler und aufgabenflexibler und könne zunehmend am Arbeitsplatz des Menschen eingesetzt werden. Viele Berufe weisen ihrer Einschätzung nach zwar ein hohes Substitutionspotenzial auf, andererseits würden durch Automatisierung auch neue Arbeitsplätze geschaffen. Diese erforderten jedoch eine technische Ausbildung und spezifische Fachkenntnisse, wodurch sich neue Herausforderungen an die Aus- und Weiterbildung ergäben. Nitsch plädierte zudem für eine „menschenzentrierte Automatisierung“, was die Sicherheit und Produktivität erhöhe und somit dazu beitrage, die Arbeitskraft sowie das Fach- und Betriebswissen langfristig zu erhalten.
Transkript: Barrierefreie Textdatei
Matthes: „Substituierbarkeitspotenziale können auch als Humanisierungspotenziale angesehen werden“

Dr. Britta Matthes, IAB
„Werden Computer bald unsere Jobs erledigen?“. Dieser Frage ging Dr. Britta Matthes, Leiterin der Forschungsgruppe „Berufliche Arbeitsmärkte“ des IAB, in ihrer Keynote nach. Konkret ging es in ihrem Vortrag um die Substituierbarkeitspotenziale von Berufen, also die Anteile an Tätigkeiten in einem Beruf, die durch gegenwärtig existierende Computertechnologien ersetzt werden können. Diese Potenziale, betonte Matthes, seien je nach Beruf und Anforderungsniveau sehr unterschiedlich. Während Fertigungsberufe und fertigungstechnische Berufe hohe Substituierbarkeitspotenziale aufweisen, fallen diese bei sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen eher niedrig aus. Dass Automatisierung mittlerweile auch im Handwerk stattfindet, illustrierte Matthes anhand eines Videos über die in Nürnberg ansässige Firma Brezen Kolb, die einen Großteil ihrer Produktion automatisiert hat. Zudem unterscheiden sich Matthes zufolge auch die Substituierbarkeitspotenziale zwischen verschiedenen Anforderungsniveaus innerhalb eines Berufes. Zugleich machte sie deutlich, dass diese Zahlen nichts darüber aussagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Beruf in Zukunft verloren gehen wird, sondern lediglich darüber, inwiefern es heute technisch machbar ist, einzelne Tätigkeiten in einem Beruf potenziell durch Computer zu ersetzen. Denn dass eine Tätigkeit als substituierbar gilt, heißt nicht, dass sie auch tatsächlich automatisiert wird. So könnten rechtliche oder ethische Hürden einer Automatisierung entgegenstehen. Berufe, so Matthes, verschwinden in der Regel nicht, aber die Tätigkeitsinhalte ändern sich: Nicht automatisierbare Tätigkeiten gewönnen an Bedeutung, neue Tätigkeiten kämen hinzu. Insgesamt zog sie ein sehr positives Fazit: Automatisierung und Digitalisierung, glaubt die Soziologin, können von schwieriger und gefährlicher Arbeit befreien und so Berufe, die heute noch unattraktiv erscheinen, wieder attraktiver machen.
Albrecht: „Die Arbeitsmarktpolitik muss eine präventive Logik entwickeln.“

Thorben Albrecht, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Thorben Albrecht, beamteter Staatsekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, identifizierte in seinem Fachvortrag drei zentrale Kompetenzen der Zukunft, auf die bei der Qualifizierung besonders Wert gelegt werden solle, damit sich Beschäftigte auf veränderte Berufe und Tätigkeiten einstellen können: erstens IT-Kenntnisse; zweitens Kompetenzen im Rahmen der Prozesssteuerung, der Problemlösung und des kreativen Denkens; drittens soziale Fähigkeiten. Durch die zunehmende Komplexität und das Ineinandergreifen von immer mehr Planungsebenen gewönnen soziale Fähigkeiten, Teamfähigkeiten, Empathie und Projektmanagement an Bedeutung.
Entgegen der Hypothese der Polarisierung der Arbeit glaubt Albrecht, dass der mittlere Qualifizierungsbereich in Deutschland erhalten werden kann, wenn ein „Upskilling“ einzelner Berufe und Tätigkeiten stattfindet, etwa in den Bereichen Steuerung, Wartung und Monitoring. Dabei müssten der Erwerb der erforderlichen Kenntnisse durch entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen unterstützt werden. Wichtig sei hierbei, dass ältere Arbeitnehmer nicht abgehängt würden. Vielmehr gelte es, deren besondere Erfahrung in den Bereichen Problemlösung und Anpassungsfähigkeit sowie deren guten Blick auf Gesamtsysteme zielführend einzusetzen. Bei niedriger qualifizierten Beschäftigten sei ein besonderes Augenmerk auf die Weiterbildung von Grundkompetenzen zu legen.
Das Prinzip des „Lebenslanges Lernen“ muss laut Albrecht von verschiedenen Akteuren unterstützt werden: Die Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere, sollten beispielsweise stetig hinterfragen, ob ihre Weiterbildungsaktivitäten noch zeitgemäß sind oder angepasst werden müssen. Die Betriebsräte wiederum sollten die Initiative ergreifen und Weiterbildungsangebote zum Schutz bestimmter Arbeitnehmergruppen einfordern, um besonders atypisch Beschäftigte entsprechend zu unterstützen. Die Arbeitsmarktpolitik müsse eine präventive Logik entwickeln, bei der die Qualifizierung schon während der Beschäftigung – also vor Eintritt der Arbeitslosigkeit – einsetzt. Auch die Beschäftigten selbst müssten Verantwortung für ihre eigene Qualifizierung übernehmen. Albrecht schlägt zudem die Einrichtung eines persönlichen Erwerbstätigkeitskontos vor, um den Prozess der Weiterbildung im Lebensverlauf zu erleichtern.
Heck: “Die klare Trennung zwischen Führungs- und allgemeinen Kompetenzen verschwimmt immer mehr.“

Peter Heck, Siemens AG
Peter Heck, Leiter Tarifpolitik der Siemens AG, betonte in seinem Vortrag, dass die Digitalisierung ein weiterer Megatrend sei, der unsere Welt grundlegend verändert und neue Herausforderungen und Chancen mit sich bringt. Dass auch die Firma Siemens mitten in der Veränderung steckt, machte Heck an Beispielen wie „Smart Data“, „Additive Manufacturing“ oder „Cloud-Plattform MindSphere“ deutlich. Da Digitalisierung die Arbeitsplätze nachhaltig verändern werde, müsse auch die Aus- und Weiterbildung angepasst und neue Kompetenzprofile erstellt werden. Dabei zeigte sich Heck überzeugt, dass die heutigen klaren Trennungen zwischen Führungs- und allgemeinen Kompetenzen in Zukunft mehr und mehr verschwimmen.
Stumpf: „Digitalisierung ist derzeit im Kern eine Rationalisierungsstrategie“

Felix Stumpf, IG Metall
Im Gegensatz zu seinem Vorredner hält IG-Metall-Vorstandsmitglied Felix Stumpf Industrie 4.0, bezogen auf die Produktionssysteme, bisher eher für eine Vision als für betriebliche Realität. Die Einführung innovativer Verfahren scheitere häufig an Vorgesetzten, die dadurch ihre Stellung im Betrieb gefährdet sähen. Stumpf präsentierte in seinem Vortrag die Ergebnisse eines gemeinsamen Papiers der Sozialpartner (Ausbildung und Qualifizierung für Industrie 4.0), in dem diese sich unter anderem dagegen aussprechen, das System der Berufsausbildung im Lichte der Digitalisierung generell neu zu ordnen. Eine notwendige Aktualisierung sei im Rahmen der bestehenden Berufe möglich. Betriebliche und schulische Lehrpläne müssten ergänzt werden. Abschließend formulierte der Gewerkschaftsvertreter Thesen zur weiteren Entwicklung einer digitalisierten Arbeitswelt. Digitalisierung sei derzeit im Kern eine Rationalisierungsstrategie. „Sie ist weniger von technischen Möglichkeiten oder Humanisierungsideen getrieben als von Rentabilitätserwägungen“. Digitalisierung ist für Stumpfe demnach ein Prozess, der auch kontrovers gestaltet werden muss. Ein Teil der Rationalisierungsgewinne, so seine Forderung, müsse für die Schaffung einer bildungsförderlichen Arbeitsumgebung ausgegeben werden.
Workshop 1: Bedeutung technischer Veränderungen für Arbeitsorganisation, Produktionsabläufe und Unternehmenskultur (Moderation: Dr. Florian Lehmer, IAB)
Pongratz: „Crowdwork ist ein neues Arbeitsmarktphänomen, aber kein Massenphänomen.“

Prof. Dr. Hans J. Pongratz, Ludwig-Maximilians-Universität München
Hans Pongratz, Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, beleuchtete in seinem Vortrag das neue Arbeitsmarktphänomen Crowdwork, welches er als „online gesteuerte, über Internetplattformen vermittelte, bezahlte, ortsunabhängige und in formaler Selbstständigkeit erbrachte Arbeitsleistung“ definierte. Bislang sei Crowdwork in Deutschland kein Massenphänomen: Nur 100.000 bis 300.000 Personen sind Schätzungen zufolge gelegentlich als Crowdworker aktiv, erwerbssichernd ist Crowdwork demnach nur für höchstens 5.000 Personen. Trotz der bisher geringen Bedeutung sollte das Phänomen angesichts potenziell negativer Auswirkungen weiter genau beobachtet werden. Zwar übernehmen Online-Plattformen Pongratz zufolge typische betriebliche Aufgaben, dies gelte jedoch nicht hinsichtlich der Verantwortung für Arbeits- und Erwerbsbedingungen. Pongratz spricht in diesem Zusammenhang von Taylorismus: Durch die Zerlegung auch komplexerer Dienstleistungsaufgaben komme es zu einer Deprofessionalisierung wissensintensiver Arbeit. Schließlich warnte Pongratz davor, dass sich die Erwerbsarbeit zunehmend vom System sozialer Sicherung abkoppeln könnte.
Bauer: Auswirkungen der Digitalisierung in der industriellen Fertigung am Beispiel eines Maschinenbauunternehmens

Marco Bauer, BAM Maschinenbau
Im zweiten Vortrag gab Marco Bauer, Geschäftsführer und Gesellschafter der BAM Maschinenbau in Altenstadt an der Waldnaab, Einblicke, wie sich die digitale Transformation im Mittelstand auswirkt. Er berichtete, dass trotz Aufklärungskampagnen von Politik, Kammern und Bildungsträgern bei mittelständischen Produktionsbetrieben noch immer große Unsicherheiten und Ängste bei der Einführung von neuen digitalen Technologien bestünden. Vielerorts fehle auch tatsächlich die digitale Kompetenz in den Betrieben. Er betonte, dass die Chancen der Digitalisierung, darunter auch die Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle zu etablieren und neue Märkte zu erschließen, stärker in den Fokus rücken müssten. Am Beispiel seiner eigenen Firma veranschaulichte Bauer, wie die digitale Transformation in der betrieblichen Praxis funktioniert, und welche Probleme dabei auftreten. So müsse Digitalisierung von der Führung gelebt werden, mit kleinen Projekten schrittweise eingeführt und die Vorteile in stetiger Kommunikation mit den Beschäftigten herausgearbeitet werden. Gleichwohl müsste man auch Reibungsverluste akzeptieren. Konkrete Vorteile der Digitalisierung für die eigene Firma sieht Bauer in der Steigerung der Auslastung, der Senkung von Materialkosten sowie einer verbesserten Kundenbindung und Neukundengewinnung.
Link: Auswirkungen der Digitalisierung im Bereich wissensintensiver Dienstleistungen

Dr. Michael Link, DATEV
Dr. Michael Link, Abteilungsleiter im Stab „Digitale Transformation“ der DATEV AG, beschrieb die Auswirkungen der Digitalisierung am Beispiel eines wissensintensiven Dienstleisters. Um in einer zunehmend digitalisierten Welt bestehen zu können, genüge es nicht mehr, nur einzelne analoge Prozesse 1:1 zu digitalisieren. Vielmehr müsse es übergreifende Veränderungen geben, um darauf aufbauend Prozesse neu denken zu können. Um dies zu gewährleisten, habe die DATEV organisatorische Änderungen vorgenommen: So wurden zwei neue Hauptabteilungen etabliert, die zum einen den Einfluss der Digitalisierung auf die Gesetzgebung, den Markt und den Berufsstand der Steuerberater im Blick haben, zum anderen alle strategisch wesentlichen Prozesse hinsichtlich der digitalen Transformation intern koordinieren. An verschiedenen Praxisbeispielen erläuterte Link diesen Wandel. So wurden im Jahr 1995 in den eigenen Druckzentren der DATEV 2,2 Milliarden Blatt Papier bedruckt. Mit der digitalen Transformation wurden Drucksysteme vereinheitlicht, maschinelle Produktionsprozesse durch IT-unterstützte Produktionsprozessen ersetzt und anstelle Papier nunmehr Daten übermittelt. Dabei entstanden neue Geschäftsmodelle, die nicht nur die Zusammenarbeit im Unternehmen, sondern auch die Zusammenarbeit mit Partnern und Kunden veränderten.
Workshop II: Wandel von Tätigkeitsanforderungen, Ersetzbarkeit von Berufen und Beschäftigungsentwicklung (Moderation: Bernhard Christoph, IAB)
Dengler: Beschäftigungsabbau oder Beschäftigungswachstum? Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt

Dr. Katharina Dengler, IAB
IAB-Forscherin Katharina Dengler analysierte in ihrem Vortrag das unterschiedliche Substituierbarkeitspotenzial von Berufen, also den Anteil der im Rahmen dieser Berufe ausgeübten Tätigkeiten, der durch Computer oder computergesteuerte Maschinen ersetzt werden kann. Insgesamt sind laut Dengler nur etwa 15 Prozent der Beschäftigten in Berufen mit einem hohen Substituierbarkeitspotenzial, also in Berufen, in denen über 70 Prozent der Tätigkeiten ersetzt werden können, beschäftigt.
Allerdings zeigten sich bei Betrachtung auf Ebene der Bundesländer deutliche regionale Unterschiede: In Ländern mit einem hohen Anteil der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe sei auch das Substituierbarkeitspotenzial höher und betreffe insbesondere Beschäftigte mit niedriger (Helfer) und mittlerer Qualifikation (Fachkräfte), während in den übrigen Bundesländern insbesondere Personen mit gehobener Qualifikation (Spezialisten) betroffen sind. Darüber hinaus, so Dengler, seien Männer deutlich häufiger in Berufen mit hohem Substituierbarkeitspotenzial beschäftigt als Frauen.
Zika: Regionale Folgen der Digitalisierung für Wirtschaft und Arbeitsmarkt

Dr. Gerd Zika, IAB
IAB-Forscher Gerd Zika präsentierte in seinem Vortrag eine spezifische Variante der vom IAB gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn erstellten regionalisierten Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen. Dort wurden die mit einer zunehmenden Digitalisierung einhergehenden Veränderungen des Arbeitsmarktes berechnet – im Vergleich zu einem als Referenz herangezogenen Basisszenario. Dabei zeigten sich zwischen den beiden Szenarien deutliche branchen- und qualifikationsspezifische Unterschiede – trotz einer im Vergleich zum Basisszenario bis zum Jahr 2035 nahezu unveränderten Gesamtzahl an Erwerbstätigen. Im Digitalisierungsszenario weisen insbesondere das verarbeitende Gewerbe sowie Fahrzeugbau und -instandhaltung einen Arbeitsplatzrückgang auf. Eine vergleichsweise günstigere Stellenentwicklung zeigt sich hingegen in den Bereichen Information und Kommunikation, Erziehung und Unterricht, sowie bei der Beschäftigung in privaten Haushalten. Qualifikationsseitig kommt es insbesondere im Bereich der mittleren Qualifikationen (Fachkräfte) zu einem stärkeren Beschäftigungsabbau, während der Bedarf nach Beschäftigten mit gehobener (Spezialisten) und höherer Qualifikation (Experten) im Vergleich zum Basisszenario steigt.
Kuhlmann: Digitalisierung als arbeitspolitische Herausforderung. Ergebnisse aus Fallstudien zum Wandel von Tätigkeitsanforderungen in der Industrie

Dr. Martin Kuhlmann, Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen
Dr. Martin Kuhlmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen, beleuchtete in seinem Vortrag die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Tätigkeiten der Beschäftigten und den sich daraus ergebenden arbeitspolitischen Gestaltungsbedarf. Einleitend führte Kuhlmann aus, dass organisatorische und soziale Veränderungen bislang eine wichtigere Rolle für die Veränderungen am Arbeitsplatz gespielt hätten als technische Innovationen. Praktiker seien bei der Beurteilung der unter dem Schlagwort Industrie 4.0 zusammengefassten Veränderungen häufig zurückhaltender als etwa die Medien. Bei der Umsetzung betrieblicher Veränderungen spiele eine wichtige Rolle, wie diese durchgeführt würden. So komme es insbesondere darauf an, wie die Beschäftigten in die Veränderungsprozesse eingebunden würden. Darüber hinaus sei von zentraler Bedeutung, wie und durch wen (eigenes Personal oder externe Experten) die Umsetzung von Änderungen erfolgt und wie mit erweiterten Flexibilisierungsmöglichkeiten umgegangen wird. So könnten beispielsweise die verbesserten Möglichkeiten, außerhalb des Büros zu arbeiten, einerseits zu einer Verbesserung der Work-Life-Balance genutzt werden, andererseits aber auch den Druck auf die Mitarbeiter erhöhen, da die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zunehmend verschwinden. Insgesamt gehe also mit den qualitativen Veränderungen am Arbeitsplatz auch ein erhöhter arbeitspolitischer Gestaltungsbedarf einher.
Workshop III: Bedeutung technischer Veränderungen für Kompetenzerfordernisse und Qualifikationsbedarfe (Dr. Simon Janssen, IAB)

Christian Sprenger, BA
Sprenger: Veränderung bei Kompetenzanforderungen aus Sicht der BA
Christian Sprenger beleuchtete in seinem Vortrag die Veränderungen von Kompetenzanforderungen aufgrund des technologischen Wandels aus Sicht der BA. Die deutsche Bevölkerung, so Sprengers These, sei noch vergleichsweise schlecht auf die Veränderungen der digitalen Arbeitswelt vorbereitet. Aus diesem Grund habe die BA bereits einige Projekte angestoßen, um auf die Veränderungen der Kompetenzanforderungen zu reagieren. Dazu gehören bspw. die präventive Beratung von Beschäftigten und Arbeitgebern, digitale Informations- und Selbsterkundungsangebote sowie Online-Blended-Learning-Angebote, d.h. einer Lernform, die eine didaktisch sinnvolle Verknüpfung von traditionellen Präsenzveranstaltungen und modernen Formen von E-Learning anstrebt. Außerdem wies Sprenger auf die noch zu bewältigenden Probleme bei der Messung und Vermittlung von digitalen Kompetenzen hin.

Prof. Dr. Lutz Bellmann, IAB
Bellmann: Digitalisierung und Aus- und Weiterbildung
Prof. Lutz Bellmann, der im IAB den Forschungsbereich Betriebe und Beschäftigung leitet, bot in seinem Vortrag einen Überblick über die bestehende Forschung zum Thema Aus- und Weiterbildung in der Arbeitswelt 4.0. Die Weiterbildungsaktivitäten von Betrieben haben Bellmann zufolge in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Allerdings gebe es immer noch große alters- und bildungsspezifische Unterschiede bei der Weiterbildungsteilnahme von Beschäftigten. So zeigt sich, dass es nach wie vor insbesondere junge und gut ausgebildete Arbeitnehmer sind, die häufig an Weiterbildungen teilnehmen. Überdies diskutierte Bellmann die Potenziale des digitalen Lernens für die Weiterbildung. Dieses gehe mit stark verringerten Weiterbildungskosten einher und ermögliche ein individuelles und flexibles Lernen für eine große Anzahl von Teilnehmern. Allerdings seien die Ausbilderinnen und Ausbilder in Zukunft stärker denn je gefordert, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen.

Dr. Robert Couronné
Couronné: Wie verändern Digitalisierung und technischer Fortschritt Qualifikationsprofile?
Dr. Robert Couronné, Geschäftsführer der Nürnberger Initiative für die Kommunikationswirtschaft, illustrierte anhand zahlreicher Beispiele, wie die Digitalisierung und der technische Fortschritt Qualifikationsprofile verändern. So demonstrierte Couronné, wie „augmented reallity“ Montagearbeiten erleichtert und künftig auch den täglichen Einkauf verändern könne. Zu den in Zukunft erforderlichen Basiskompetenzen von Arbeitnehmern zählt Couronné ein Grundverständnis informationstechnischer Systeme und des Wissensmanagements sowie ausgeprägte Medienkompetenz, begleitet von einer Grundausbildung in IT-Security. Auch Kommunikationsfähigkeit im Team, ein offenes „Mindset“ (Geisteshaltung) und eine positive Einstellung zum Lernen seien in der Arbeitswelt 4.0 verstärkt gefordert. Zugleich zeigte sich Couronné überzeugt, dass die Beschäftigten trotz des digitalen Fortschritts ihre Verantwortung auch in Zukunft nicht an eine Maschine abgeben werden können, wie er am Beispiel der Medizintechnik verdeutlichte.
Podiumsdiskussion (Moderation: Gerhard Schröder, Deutschlandradio)
In der anschließenden Podiumsrunde wurden die Ergebnisse und Erkenntnisse aus den Workshops von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Arbeitsverwaltung und Wissenschaft sowie der Sozialpartner diskutiert.

v.l.n.r.: Johannes Jakob (DGB), Thorben Albrecht (Bundesministerium für Arbeit und Soziales), Gerhard Schroder (Deutschlandradio), Valerie Holsboer (BA), Christina Ramb (Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände), Dr. Ulrich Walwei (IAB)
Albrecht: „Die Arbeitsmarktpolitik muss experimentierfreudiger werden.“
Für Staatssekretär Thorben Albrecht setzt eine präventive Arbeitsmarktpolitik als Antwort auf die Digitalisierung einerseits ein engmaschiges Monitoring voraus, andererseits ein verstärktes Eingehen auf regionale Bedürfnisse und eine gesteigerte Experimentierfreudigkeit der Arbeitsagenturen. Bei den Betrieben warb Albrecht um Verständnis dafür, dass die Arbeitsagenturen nicht nur den Arbeitslosen, sondern auch bestimmten Personengruppen, die (noch) in Beschäftigung sind, stärker als bisher Weiterbildungsangebote unterbreiten müssten, um diese, ggf. auch über ihr aktuelles Beschäftigungsverhältnis hinaus, fit zu machen für die Herausforderungen der Digitalisierung.
Holsboer: „Die BA kann eine Lotsenfunktion für die Beschäftigten übernehmen.“
BA-Vorstandsmitglied Valerie Holsboer glaubt, dass die BA bei der Digitalisierung eine Lotsenfunktion für die Beschäftigten übernehmen kann. Zwar müsse man dabei auch langfristige Trends im Auge behalten. Da diese aber nur schwer vorhersehbar seien, müsse die BA sich eher auf kurzfristige Entwicklungen konzentrieren und eine Politik der kleinen Schritte verfolgen. Holsboer betonte zudem die hohe Bedeutung einer guten Berufsausbildung als Fundament für spätere Weiterbildung. Für die Entwicklung maßgeschneiderter Qualifizierungskonzepte komme es auch auf eine gute Zusammenarbeit der BA mit den Sozialpartnern an. Dabei wusste sie sich mit Albrecht darin einig, dass ein noch zu entwickelndes, engmaschiges Monitoring die Voraussetzung dafür sei, dass die BA zielgerichtete Weiterbildungsangebote unterbreiten könne.
Jakob: „Wir haben es noch nie geschafft, die Beschäftigten mitzunehmen.“
Johannes Jakob, Leiter der Fachabteilung Arbeitsmarktpolitik beim Bundesvorstand des DGB, forderte, die Beschäftigten im aktuellen Strukturwandel stärker mitzunehmen – und rügte, dass dies bisher niemals gelungen sei. Den Betrieben warf er mangelndes Weiterbildungsengagement vor, kritisierte aber auch die zum Teil zu geringe Inanspruchnahme von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen seitens der Beschäftigten. Jakob unterstützte die Idee eines Erwerbstätigenkontos, kritisierte aber die fehlende Zweckbindung des Geldes. Ähnlich wie Albrecht hält auch Jakob präventive Weiterbildungmaßnahmen, die bereits vor Eintreten der Erwerbslosigkeit greifen, für den richtigen Ansatz, um die Beschäftigten für die Herausforderungen der Digitalisierung zu wappnen.
Ramb: „Wir müssen genau schauen: Wer braucht bei Weiterbildung die Unterstützung durch die BA und wer nicht?“
Christina Ramb, Leiterin der Fachabteilung Arbeitsmarktpolitik bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, betonte, dass die Betriebe derzeit 33,5 Milliarden Euro jährlich für die Weiterqualifizierung ihrer Beschäftigten ausgeben, räumte aber ein, dass zwischen den Branchen Unterschiede im Weiterbildungsbedarf, aber auch in der Bereitstellung von Weiterbildungsangeboten bestehen. Die BA sollte sich aus ihrer Sicht auf bestimmte Personengruppen wie Langzeitarbeitslose und Wiedereinsteiger beschränken und nicht in einen überstürzten Aktionismus mit verfrühten Qualifizierungsmaßnahmen für Beschäftigte generell verfallen. Es mache keinen Sinn, wenn die BA die Weiterbildung von hochqualifizierten Arbeitnehmern, die in Beschäftigung sind, übernimmt. Dies müsse weiterhin in der Verantwortung der Betriebe bleiben. Man müsse sich also genau anschauen, welche Personengruppen bei der Weiterbildung eine Förderung durch die BA brauchen und welche nicht.
Walwei: „Auch die nicht digitalen Kompetenzen sind wichtig.“
Laut IAB-Vizedirektor Dr. Ulrich Walwei sind auf Basis der IAB-Prognosen für Deutschland unterm Strich weder größere Verluste noch größere Zuwächse an Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung zu erwarten. Allerdings gebe es hier sektoral starke Unterschiede. Zudem betonte Walwei den ungeachtet aller Digitalisierungstendenzen anhaltend hohen Stellenwert von soft skills und von nicht digitalen Fähigkeiten. Es gelte weiterhin, die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen zu fördern. Die BA sei vor dem Hintergrund der Digitalisierung mehr denn je gefordert, Geringqualifizierte und andere Problemgruppen am Arbeitsmarkt gezielt zu unterstützen.
Vortrag
Beitinger: Herausforderungen und Anforderungen an die Smart Factory der Zukunft

Dr. Gunter Beitinger, Siemens Amberg
Abschließend skizzierte der Siemensmanager Dr. Gunter Beitinger — gleichsam als Einstimmung für die nachfolgende Werksbegehung — die Herausforderungen und Anforderungen an die Smart Factory der Zukunft am Beispiel des von ihm geleiteten Elektronikwerks Amberg. Dort produzieren rund 1.250 Beschäftigte mehr als 16 Millionen Produkte pro Jahr mit ca. 1.200 Varianten zur Steuerung, Bedienung und Überwachung von Anlagen und Maschinen. Dabei werden auf einer Produktionsfläche von 10.000 Quadratmetern an die vier Milliarden Komponenten jährlich montiert – eine immense logistische Herausforderung. Die Vorteile einer Smart Factory, in der sich Fertigungsanlagen und Logistiksysteme ohne menschliche Eingriffe weitgehend selbst organisieren, liegen aus Sicht von Beitinger in kürzeren Markteinführungszeiten, einer erhöhten Flexibilität und einer Steigerung der Effizienz. So habe sich das Produktionsvolumen am Standort Amberg gegenüber 1990 – bei gleicher Fläche – verzehnfacht. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergebe sich daraus unter anderem die Anforderung, zeitlich flexibler und anpassungsfähiger zu werden sowie Wissen und Fähigkeiten – im Sinne lebenslangen Lernens – ständig zu erweitern. „Mit den entsprechenden Strategien und Technologien kann man in Deutschland sehr gut fertigen“, zeigt sich Beitinger überzeugt.
Weitere Informationen
Aktuelle Beiträge des IAB zum Thema Digitalisierung finden Sie im Dossier Digitalisierung unseres Magazins IAB-Forum, dass seit Juni 2017 als Onlinemagazin erscheint.
Die freigegebenen Vortragsfolien stehen Ihnen hier zum Download zur Verfügung.
Dieser Bericht wurde verfasst von: Martin Schludi; Bernhard Christoph; Sabrina Genz; Anja Heilmann; Simon Janssen; Marie-Christine Laible; Florian Lehmer; Gerrit Müller; Peter Schaade; Annette Trahms; Wilma Wolf; Gerd Zika (alle IAB).
Fotos: Jutta Palm-Nowak, IAB